2015/09/02

OLG Hamm: Kein Anspruch des Kindes auf „Idealeltern“ und optimale Förderung - Beschluss vom 12.07.2013 – 2 UF 227/12

 

 

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 12.07.2013 – 2 UF 227/12

Vorinstanz: Amtsgericht Marl, 36 F 219/11
Normen: §§ 1666, 1666a BGB




Leitsätze:
Im Rahmen der §§ 1666, 1666a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf „Idealeltern“ und optimale Förderung hat und sich die staatlichen Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränken. Für die Trennung der Kinder von den Eltern oder einem Elternteil ist es daher nicht ausreichend, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Erziehung und Förderung besser geeignet sind. Vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes.

Tenor:
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 15.10.2012 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Marl wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird endgültig auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:
I.
Die Antragstellerin lebte ursprünglich mit ihren älteren Kindern V, V2 und B im Landkreis Karlsruhe. Der Antragsgegner war in erster Ehe mit Frau G (im Folgenden: Kindesmutter) verheiratet. Aus dieser Ehe sind zwei Kinder, V2, geboren am ##.##.1997, und P, geboren am ##.##.2000, hervorgegangen. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Marl vom 07.04.2003 – 26 F 124/02 – wurde dem Antragsgegner gemeinsam mit der Kindesmutter die elterliche Sorge für das Kind V2 entzogen und auf das Jugendamt der Stadt N übertragen. In dem seinerzeit eingeholten Gutachten der Sachverständigen Diplom-Psychologin Dr. U vom 25.11.2002 heißt es hinsichtlich des Antragsgegners unter anderem, dass dieser eine dissoziale Störung des Erlebens und Verhaltens im Sinne einer haltschwachen Persönlichkeitsstörung habe und er in Auseinandersetzungen mit bestehenden Problemlagen sich passiv-vermeidend verhalte, indem er seine Verantwortung oder Mitverantwortung leugne oder bagatellisiere. Ein Mangel an Einfühlungsvermögen und Gefühlsbeteiligung habe auch in seinen Schilderungen der seinerseits eingeräumten Misshandlungen des Stiefkindes O vorgelegen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Antragsgegners wies das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 5.11.2003 – 8 UF 84/03 – zurück.
Als die Antragstellerin den Antragsgegner kennenlernte, zog sie mit diesem und ihren drei älteren Kindern aus erster Ehe, V, V2 und B, nach N. Am ##.##.2009 heirateten die Antragstellerin und der Antragsgegner. Aus der Ehe entstammte das minderjährige Kind K, geboren am ##.##.2013 (im Folgenden: das Kind). Bis November 2010 lebten die Antragstellerin und der Antragsgegner mit dem Kind und den drei Kindern der Antragstellerin aus erster Ehe gemeinsam in der Wohnung I-Straße 14 in N.

Das Jugendamt der Stadt N berichtete unter dem 3.8.2011, dass der Alltag der Familie bis zum Zeitpunkt des Auszuges durch ständige Streitigkeiten des Antragsgegners mit der Antragstellerin oder seinen Stiefkindern bestimmt gewesen sei; mehrfach sei die Polizei gerufen worden. Besonders schlimm sei die Situation für das Kind, da dieses bisher in dem Spannungsfeld der Antragstellerin und des Antragsgegners gelebt habe und daher zu befürchten sei, dass es auch weiterhin als Machtobjekt zwischen den Eltern stehe und dahingehend missbraucht werde.
Im November 2010 trennten sich die Antragstellerin und der Antragsgegner. Mit Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 386/10 – übertrug das Amtsgericht Marl der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind und wies ihr mit weiteren Beschluss vom 11.11.2010 – 36 F 385/10 – die eheliche Wohnung zu. Der Antragsgegner zog am 15.2.2011 aus der ehelichen Wohnung aus und nahm sich eine eigene Wohnung gegenüber der vormals ehelichen Wohnung.
Unter dem 24.5.2011 stellte die Antragstellerin vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl den Antrag, das Umgangsrecht zwischen dem Antragsgegner und dem Kind zu regeln. Der Antragsgegner und die Antragstellerin schlossen im Verfahren vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Marl – 36 F 164/11 – in der mündlichen Verhandlung am 16.11.2011 eine Umgangsvereinbarung dahingehend, dass der Antragsgegner berechtigt ist, das Kind alle zwei Monate am jeweils ersten Wochenende eines Monats um 18:00 Uhr abzuholen und bis Sonntag 18:00 Uhr zurück zu bringen, beginnend mit dem 1.12.2011.

Seit dem 3.5.2011 wurde die Antragstellerin von einer sozialpädagogischen Familienhilfe in N unterstützt. Mitte 2011 zog die Antragstellerin mit ihren Kindern aus erster Ehe und dem Kind nach X in den Kreis Karlsruhe, wo sie zunächst bei einer Freundin lebte. Im Januar 2012 bezog sie eine 2-Zimmer Sozialwohnung. Nachdem eine Meldung der Polizei über den unsauberen Zustand der Wohnung sowie eine Mitteilung der Schule eines der älteren Kinder über Verwahrlosungstendenzen eingegangen waren, erhielt die Antragstellerin seit dem 17.2.2012 eine sozialpädagogische Familienhilfe durch den Landkreis Karlsruhe. Nach dem Bericht des Jugendamtes des Landkreises Karlsruhe von 23.2.2012 sei von einer Kindeswohlgefährdung hinsichtlich des Kindes, welches inzwischen den Kindergarten besuche, nicht auszugehen. Sowohl nach den Erfahrungen des Jugendamtes der Stadt N als auch denen des Landkreises Karlsruhe verlaufe die Zusammenarbeit mit der Antragstellerin gut.

Der Antragsgegner war ursprünglich arbeitslos; sodann war er für einen Zeitraum von etwa vier Monaten als Gebäudereiniger tätig. Diese Anstellung verlor der Antragsgegner, weil seine Arbeitszeiten mit seinen Umgangszeiten kollidierten. Der Antragsgegner hat eine neue Lebensgefährtin, Frau M2.

Die Antragstellerin hat behauptet, mit dem Antragsgegner seien keinerlei Absprachen über die Erziehungsangelegenheiten hinsichtlich des Kindes möglich. Es habe ständig erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und dem Antragsgegner gegeben; die Erziehungsstrategie, die der Antragsgegner hinsichtlich ihrer drei älteren Kinder zu Tage habe treten lassen, sei auch nunmehr im Hinblick auf die Umgangskontakte mit dem Kind erkennbar geworden. Der Aufenthalt des Kindes bei ihr sei durch den Antragsgegner nachhaltig in Frage gestellt, da er selbst erklärt habe, er bestehe zukünftig darauf, dass das Kind bei ihm aufwachse. Überdies bezeichne er ihre anderen Kinder als kriminell und zu laut, so dass das Kind nicht in Ruhe und Sorgfalt aufwachsen könne. Der Antragsgegner habe in seiner neuen Wohnung ein eigenes Kinderzimmer eingerichtet und beabsichtige, das Kind in absehbarer Zeit ganz zu sich zu nehmen. Auch die Umgangskontakte verliefen nicht problemlos, da der Antragsgegner immer wieder den Kontakt zu ihr aufzunehmen versuche; deswegen sei dringend geboten, dass die Sorgerechtsfrage insgesamt geklärt werde. Dementsprechend sei ihr das alleinige Sorgerecht für das Kind zu übertragen. Der Antragsgegner sei nicht in der Lage, seine eigenen Bedürfnisse hinter denen des Kindes zurückzustellen, was sich auch auf die Erziehung des Kindes auswirke.

Die Antragstellerin hat beantragt,
ihr das alleinige elterliche Sorgerecht für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen und
widerantragend ihm die elterliche Sorge für das minderjährige Kind K, geboren am 12.02.2010, zu übertragen.

Der Antragsgegner hat gemeint, dass das Kind bei ihm wesentlich besser aufgehoben sei als bei der Antragstellerin. Er hat behauptet, die Antragstellerin sei erziehungsungeeignet, was sich daran zeige, dass sie nicht einmal mit ihren Kindern aus früherer Ehe erziehungsmäßig einigermaßen klar gekommen sei. Die Söhne V und V2 litten unter ADHS und gestörtem Sozialverhalten. Auch verhielten sich die älteren Kinder rüde und umgezogen, was sich nachteilig auf das Kind auswirke, Ursache für ständige Auseinandersetzungen und überdies auch eine Ursache für das Scheitern der Ehe gewesen sei. Einer der Söhne besuche die Sonderschule, wo er völlig unbefriedigende Leistungen erziele; insbesondere sein Sozialverhalten werde von der Schule als sehr negativ geschildert. Gegen den Sohn sei ein Verfahren wegen Diebstahls eingeleitet worden und es sei ihm seitens der Schule ein unbefriedigendes Sozialverhalten attestiert worden. Überdies weise der Bericht des Jugendamtes des Kreises Karlsruhe auf erhebliche Defizite der Antragstellerin bei der Versorgung ihrer Kinder hin. Soweit er selber den Kontakt zur Antragstellerin suche, geschehe dies allein, um sein Umgangsrecht mit dem Kind wahrzunehmen. Im Übrigen sei es die Antragstellerin, die Umgangskontakte nicht verlässlich durchführe. Aufgrund des Umstandes, dass die Antragstellerin wieder nach X verzogen sei, sei das Kind den Zwistigkeiten zwischen ihr, ihren Kindern aus erster Ehe und ihrem Ex-Mann ausgesetzt. Soweit seine häusliche Situation betroffen sei, sei seitens des Jugendamtes der Stadt N festgestellt worden, dass er über ausreichend Raum verfüge, um für das Kind in seiner Wohnung zu sorgen; überdies habe er einen Kindertagesstättenplatz für 45 Stunden in der Woche zugesagt erhalten. Letztlich sei auch beachtlich, dass das Kind in N noch Kontakte zur Großmutter, zu der es ein inniges Verhältnis gehabt habe, haben könne; gleiches gelte auch für die übrigen Halbgeschwister V2 und P....


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