2013/08/26

Kritik am Rechtsstaat darf auch mal ausfällig sein


"Winkeladvokat" oder "Rassist": Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass auch Beamte und Richter gewisse Beschimpfungen ertragen müssen. Damit stärkt Karlsruhe die Meinungsfreiheit. Von

 Auch Richter dürfen in Maßen beschimpft werden: Hier der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Foto: Wolfgang Hörnlein/pdh Auch Richter dürfen in Maßen beschimpft werden: Hier der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
Darf ein Rechtsanwalt andere Rechtsanwälte als "Winkeladvokaten" bezeichnen? Und darf jemand dem Ausländeramt einer Stadt samt namentlich genannter Sachbearbeiterin einen "Denkzettel für Rassismus" verleihen?
Ja, sagt das Bundesverfassungsgericht. Solche Äußerungen sind keineswegs automatisch eine persönliche Schmähung, sondern Ausdruck der Meinungsfreiheit – sofern klar erkennbar ist, dass die Äußerung im Zusammenhang mit einem Sachkonflikt gefallen ist und nicht den Zweck hatte, eine Person niederzumachen. Die Verfassungsrichter verdienen Lob, das klargestellt zu haben.
Freiheit besteht eben nicht nur darin, eine andere Meinung haben zu dürfen. Sie besteht genauso darin, andere Meinungen auszuhalten, auch wenn sie persönlich unbequem sind. Die Richter sagen zum Ausländeramt: Kritik am Rechtsstaat darf durchaus auch mal ausfällig sein.


Wer Freiheit will, muss sie aushalten

 

Der Staat verstehe Meinungsfreiheit falsch, wenn er glaube, den erforderlichen Grad einer aus seiner Sicht ausreichenden Kritik selber festlegen zu dürfen. Und im Fall der Winkeladvokatur sagen die Richter, Meinungsfreiheit heiße eben nicht, einzig zur "Wahrung allgemeiner Höflichkeitsformen" jede Polemik zu verbieten.
Der Erste Senat in Karlsruhe spürt schon seit einigen Jahren versteckten Angriffen auf die Meinungsfreiheit nach. Er hat ein wachsames Auge darauf, ob unbequeme Meinungen mit Klagen und Verwaltungsakten Zentimeter für Zentimeter eingeengt werden sollen.

Bisher hat er sich hauptsächlich für Rechtsradikale in die Bresche geworfen – nicht aus Sympathie für deren Ansichten, sondern aus Sympathie für eine möglichst große öffentliche Meinungsbühne. Jetzt haben die Richter sich auch anderen Bereichen zugewandt.
Nicht so empfindlich sein, wer Freiheit will, muss Freiheit aushalten können – das ist der rote Faden, entlang dem die Richter den Freiraum verteidigen. Es gibt Auffassungen, die zu Recht in die Schranken gewiesen werden. Aber jeder Einzelfall ist anders, und in einem freien Land soll man nicht immer gleich beleidigt sein.
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