2012/07/15

Misshandlung Prügel-Vorwurf gegen Ex-Leiter von Kinderheim in Emmerich

12.07.2012 
Prügel-Vorwurf gegen Ex-Leiter von Kinderheim in Emmerich
Der frühere Heimleiter.
 
 
Emmerich.   Der Fall Detlef Rudolph wirft ein trübes Licht auf die Verhältnisse im St. Elisabeth-Heim in den 70er-Jahren. Die Geschäftsführung in Emmerich kann zur Klärung der Misshandlungen im Kinderheim kaum beitragen.
Er lebt zurückgezogen in einem kleinen Dorf. Detlef Rudolph, heute 49, hat das Urvertrauen in die Menschen verloren. Zuhause, in einer kinderreichen Familie in Mettmann, wurden er und seine Geschwister von einem tyrannischen Vater mit Kabeln, Gürteln und Rohrstock verprügelt. Einmal vermöbelte er einen seiner Söhne, damals neun, so heftig, dass die Ehefrau Strafanzeige erstattete. Auf seine Frau schoss der Elektriker vor den Augen der Kinder, verfehlte sie aber.
Der Vater wanderte ins Gefängnis. Die offenkundig überforderte Mutter überließ ihre Kinder sich selbst. 1972 wurde beiden Elternteilen das Sorgerecht entzogen. Die Kinder wurden auf mehrere Kinderheime verteilt. Eines war das St. Elisabeth-Heim in Emmerich .
Was er dort in den nächsten Jahren erlebte, hat Detlef Rudolph lange verdrängen können. So lange, bis eine Patientin des inzwischen arbeitsunfähig geschriebenen Ergotherapeuten grausam ermordet wurde. Da kochte auf einmal alles in ihm hoch. „Ich habe von heute auf morgen meine Sachen gepackt und bin vom Ruhrgebiet in die Nähe von Hannover gezogen, wo wenig Menschen sind“, erzählt er und fügt leise an: „Ich kann noch immer nicht unter Menschen gehen.“

Züchtigungen im Büro des Heimleiters

Seit acht Monaten hat er eine Therapeutin. „Sie hat mir gesagt, ich müsse mich den Dingen stellen.“ Und das tut er. Ein erster Schritt war, dass er sich an den Weißen Ring wandte, mit dem er nun gemeinsam gegen den Landschaftsverband Westfalen-Lippe ein Beweisverfahren führt. Bei diesem soll geklärt werden, ob Rudolph Opfer von Gewalttaten geworden ist. Weil er in der Beweispflicht steht und Zeugen auftreiben muss, hat er Schriftstücke seiner Brüder sowie von Erzieherinnen beigebracht, die seinerzeit im Heim tätig waren und ein trübes Licht auf die Verhältnisse werfen, die unter dem inzwischen verstorbenen Heimleiter und seinem Stellvertreter herrschten.
Foto: WAZ FotoPool
 
Eine von 1973 bis 1979 als Kinderpflegerin angestellte Erzieherin erinnert sich: „Die körperlichen Züchtigungen fanden immer im Büro des Heimleiters hinter verschlossenen Türen statt. Die Kinder haben von heftigen Ohrfeigen und Prügel erzählt. Gesprochen wurde darüber aber nur hinter vorgehaltener Hand“. Die Gründe seien Ungehorsam, Schule schwänzen, aufsässiges Verhalten oder vermeintliches Stehlen gewesen: „Alles eigentlich Nichtigkeiten. Es wurde vorher auch nicht lange gefragt, ob sich die Dinge so zugetragen haben.“ Auch in der Wohngruppe seien Jungen so lange geschlagen worden, bis sie ein angebliches Unrecht zugegeben hätten: „Dabei ist der eine oder andere auch schon mal mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen.“

Schuldgefühle bei Erziehern

Dann sagt sie freimütig: „Heute, mit dem Abstand von fast 40 Jahren, weiß ich, dass wir Erzieher hätten eingreifen bzw. es melden müssen. Zu der damaligen Zeit war ich 20 Jahre alt und durch die Heimleitung in dem Heim, in dem ich mein Anerkennungsjahr gemacht hatte, eingeschüchtert. Dort gab es auch einige Missstände, und wenn ich diese zur Sprache brachte, wurde mir gesagt, wenn ich meine Anerkennung wollte, sollte ich besser den Mund halten. Damals hatte ich Angst um meine Arbeitsstelle.“ Inzwischen arbeite sie mit geistig behinderten Menschen, „und würde so etwas nie mehr zulassen, auch auf die Gefahr hin, meine Arbeit zu verlieren.“
Eine andere Erzieherin bestätigt, dass es immer wieder zu unkontrollierten, willkürlichen, „für mich nicht nachvollziehbaren“ massiven Schlägen durch die Heimleitung gekommen sei. Sie habe hinter der verschlossenen Bürotür Detlef Rudolph und andere Kinder schreien und wimmern hören: „Solche Situationen sind keinem der damaligen Mitarbeiter/innen entgangen.“ Mit 13 wandte sich Detlef Rudolph mit einem kindlichen Hilferuf an das Jugendamt in Mettmann und fragte: „Darf man so hauen?“


Stift bittet um Entschuldigung

Mit diesem Brief hatte Detlef Rudolphs Aufenthalt in Emmerich ein Ende, und er wurde nach Essen verlegt, „wo es aber nicht weniger schön zuging“, so der heute 49-Jährige. Sollte der Landschaftsverband aufgrund der präsentierten Zeugenaussagen die Frage bejahen, ob Rudolph Opfer von Gewalttaten geworden ist, könnte das mehrere Folgen haben. Möglich, dass er die Kosten der Therapie erstattet bekommt oder aber eine Rente oder Entschädigung erhält. Bei einer Ablehnung will er mit seiner Anwältin die Chancen einer Klage ausloten, möglicherweise auch gegen das St. Elisabeth-Kinderheim. Dessen Geschäftsführung liegt heute in den Händen von Norbert Pastoors und Hans-Jürgen Kraayvanger von der Katholischen Waisenhaus-Stiftung.


Das Dogma durchbrechen

Auch sie war von Rudolph um eine Stellungnahme gebeten worden. Gleichwohl hatte er das Angebot zu einem Gespräch mit dem damaligen stellvertretenden Heimleiter bisher nicht wahrgenommen. Die Stiftung kann zur Klärung der Vorwürfe so gut wie nichts beitragen, weil in einer Akte aus jener Zeit nur einige wenige Schriftstücke vorhanden seien. Sollte es sich so zugetragen haben, wie Rudolph es geschildert hat, sei das Vorgehen „pädagogisch nicht vertretbar und unangemessen gewesen“, und dann könnten die heute Verantwortlichen ihn nur ausdrücklich um Verzeihung bitten. Dem damaligen stellvertretenden Heimleiter, das hat die Stiftung eruieren können, seien die geschilderten Vorgänge nicht erinnerlich, er könne sich aber noch an Rudolph und seine Brüder erinnern und stehe für ein Gespräch mit dem einstigen Schützling zur Verfügung. Die Stiftung wiederholte ihre Gesprächsbereitschaft, „auch außerhalb Emmerichs an einem neutralen Ort“.
Norbert Pastoors bedauerte gegenüber der WAZ-Mediengruppe, dass es bislang nicht zu einem Gespräch mit Rudolph gekommen sei. Er sprach von einer „schwierigen Situation“. Schriftliche Berichte, Belege oder Schriftverkehr mit dem Jugendamt habe man nicht mehr. Daher: „Den Sachverhalt kann ich nicht beurteilen.“ Er wisse auch nicht, um was es Rudolph genau gehe. Bislang ist für ihn ein Einzelfall: „Vergleichbare Fälle aus Emmerich oder Goch sind mir nicht bekannt.“
Detlef Rudolph will andere geschädigte Personen ausfindig machen, die er als Zeugen in seinem Verfahren benennen kann. Er wendet sich auch an die Öffentlichkeit, „um das Dogma aufzubrechen, dass in einer Kleinstadt in einem Kinderheim alles nur rosig war“.


Von Sarah Eul und Norbert Kohnen

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